Prekäre Exzellenz? Vom Alptraum zum Traumjob Wissenschaft

Knapp ein halbes Jahr nachdem ich für Telepolis ein Interview mit Mathias Neis über „Prekäre Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen“ führte, fand am 24.10.2011 an der Universität des Saarlandes (UdS) eine Diskussionsrunde mit dem Titel „Prekäre Exzellenz? Vom Alptraum zum Traumjob Wissenschaft“ statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt (KoWA).nnMathias Neis zeichnete im erwähnten Interiew ein düsteres Bild der wissenschaftlichen Arbeitswelt, die von äußerst unattraktiven Arbeitsbedingungen geprägt ist. Die von Neis geschilderten Phänomene (etwa überdurchschnittlich viele befristete Beschäftigungsverhältnisse, unbezahlte Mehrarbeit und hierarchische Immobilitäten) sind den meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wohl vertraut. Kürzlich wurde mir selbst wieder berichtet, dass Lehraufträge an einer Fakultät einer doch sehr reputierten deutschen Hochschule zu 75% unentgeltlich erbracht würden. So irritierend und aufschlussreich solche Informationen sind, sie sind Anekdoten und zur Erarbeitung einer Diskussionsposition taugen sie daher leider nicht. Mathias Neis und andere hingegen erforschen diese Thematik und lieferen so eine valide Diskussionsbasis, fundiert durch empirische Daten. Und empirische Daten spielten auch bei der Saarbrücker Runde eine bedeutende Rolle.nnAndreas Keller, aus dem Bundesvorstand der Gewerkerschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), schilderte die Perspektive seiner Gewerkschaft auf die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft und belegte diese mit einigen Statistiken: Zwischen 1997 und 2009 stieg die Zahl der Studierenden um 16,3%, die der Professoren aber nur um 2,8%, die Anzahl der Lehrbeauftragten verdoppelte sich im gleichen Zeitraum annähernd. Keller bemängelte auch den international nahezu einzigartigen Status des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland: Wer promoviert ist, aber keine Professorenstelle ergattert, steckt dauerhaft in der Sackgasse des wissenschaftlichen Nachwuchses – gleich wie alt er ist. Entkommen wird er dieser Sackgasse in der Regel nur durch das Ausscheiden aus der Wissenschaft. Nachwuchs an deutschen Hochschulen (Universitäten und FHs) arbeitet in der Regel befristet und so kamen 2009 auf einen unbefristet Beschäftigten neun befristet Beschäftigte, 53% der befristeten Verträge hatten eine Laufzeit von maximal 12 Monaten. Genau wie Neis moniert auch Keller die Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern ab der Promotion: Je näher die Statusposition der C3-/W4-Professur rückt, desto seltener sind auf diesen Positionen Frauen zu finden.nnRefomvorschläge finden sich im Templiner Manifest: Es kritisiert die Forderung der Hochschulen nach exzellenter Forschung & Arbeit zu mehr oder minder ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und verlangt eine Refomation der Personalstruktur und der Berufswege an Hochschulen. Das Manifest fordert eine bessere Absicherung der Promotionsphase, die Gestaltung verlässlicher Perspektiven für Postdocs, die Schaffung von Daueraufgaben und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen, die Reduzierung prekärer Beschäftigung, tarifvertraglichen Schutz aller Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen (derzeit durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eingeschränkt) sowie die Ausgleichung der Geschlechterverhältnisse. Für Keller schließen diese Forderungen die Akzeptanz der Doktoranden als Wissenschaftler und nicht als Studierende im dritten Studienabschnitt (nach Bachelor und Master) ein. Zudem kritisierte Keller das Fehlen von Personalentwicklungskonzepten an Hochschulen, diese Konzepte sind in der Privatwirtschaft Usus, an den Hochschulen aber weitgehend unbekannt. Sicher auch ein Grund, warum sich Hochschulen den Luxus leisten, Experten über mehrere Jahre auszubilden, um sie anschließend nicht weiterzubeschäftigen.