Wieder einmal schossen Roland Reuß und Volker Rieble gegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG und sahen in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ vom 19.10.2011 nicht weniger als die Freiheit der Forschung bedroht. Die gescholtene DFG nahm nun online Stellung zum FAZ-Artikel, ähnlich reagierte sie bereits im Juli des Jahres mit einer Erwiderung auf eine Podiumsdiskussion der Herren Reuß/ Rieble/ Jochum/ Wolff/ Siebeck mit dem Titel „Freie Wissenschaft vs. geheime Wissenschaftsförderung. Zur Reform der DFG„.nnDiese Diskussionsrunde produzierte einiges an Medienecho, unter anderem titelte die Süddeutsche Zeitung in bestem Boulevard-Tonfall: „Wut-Wissenschaftler attackieren Bürokratie-Wahnsinn“ und auch die Neue Zürcher Zeitung (selbstredend offline) sowie das Deutschland Radio bashten fleissig mit. Die neuerliche Replik der DFG fällt umfangreicher aus als ihr Statement zur Podiumsdiskussion. Eins vorweg: Lektüre des FAZ-Artikels und der DFG-Stellungnahme lassen mich mehr oder weniger zum selben Schluss kommen wie bereits im Posting zum erwähnten SZ-Artikel: Die Kritik von Reuß & Rieble geht meist ins Leere und scheint weniger sachlich als individuell motiviert, vor allem wenn sie bürokratische Verfahren angreifen. Die DFG ist nun mal eine Institution und handelt dementsprechend: Ihre Verfahrensregeln sind nachvollziehbar (was nicht heißen muss, das sie jedem gefallen müssen) und dokumentiert. So widerlegt die DFG die Anfeindungen recht souverän und detailliert. An zwei Punkten würde ich allerdings der Stellungsnahme der DFG zum FAZ-Artikel nicht unumwunden zustimmen.nnObwohl die Chefankläger die Ablehnung eines Antrags auf Forschungsförderung dramatisieren, würde ich der Aussagenn„Die Begutachteten erfahren kaum etwas über den Inhalt, können sich damit nicht auseinandersetzen, können keine offensichtlichen Fehlannahmen korrigieren, keinen Widerspruch oder auch nur Gegenvorstellungen wagen; ihnen wird kein Gehör gewährt.“nnnicht pauschal widersprechen. Meiner Erfahrung nach wird von der DFG im Falle einer Ablehnung der Gutachterbericht den Antragstellern zugänglich gemacht – inwiefern die Kritik an dieser Stelle gerechtfertigt ist, ist mir nicht klar. Aber mich interessiert hier eh die Antragsteller-Gutachter-Kommunikation: Die DFG erwidert in der Stellungnahme, man könne im Falle einer Ablehnung entweder einen neuen Antrag stellen oder formal Beschwerde einreichen. Allerdings zielen die Autoren wohl auf Szenarien, in denen eine Beschwerde überzogen wäre und ein Neuantrag unverhältnismäßig aufwändig wäre, sondern in denen es der Antragsteller als hilfreich empfände, offensichtliche Missverständnisse oder Fehlinterpretationen aufzuheben zu können. Für solche Fälle böte sich ein dialogisches Verfahren an, in dem Antragsteller auf den ersten Entwurf der Begutachtung inhaltlich-argumentativ reagieren könnten. Ein solcher Zwischenschritt dürfte das Verfahren (vorausgesetzt man setzt Fristen) auch nicht wesentlich verzögern. An anderer Stelle bemängeln die Autoren:nn„Der Antrag wird von Fachwissenschaftlern begutachtet. Zentrale Entscheidung ist die Gutachterauswahl. Sie wird von der Geschäftsstelle der DFG in Bonn vorgenommen, letztlich selbstmächtig durch den Fachreferenten – und ist geheim.“nnnLassen wir die Reuß-Rieble’sche Theatralik („selbstmächtig“) beiseite. Auch wenn die DFG darauf verweist, anonyme Begutachtung von Förderungsanträgen sei internationaler Standard: In Zeiten der Open Science & Open Review könnten auch Forschungsförderer ihre Begutachtungsverfahren überdenken. Es wäre eine verdientvolle Aufgabe für das DFG-unterstützte Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) mittels Erhebungen Optimimierungspotentiale der Verfahren der Drittmittelbeantragung, Antragsbewertung und Bewilligungs- oder Ablehungsmodalitäten zu eruieren.nnZu den oben erwähnten Aspekten (Antragsteller-Gutachter-Kommunikation, Anonymität) habe ich mich bereits an anderer (noch unveröffentlichter) Stelle geäußert: „Ebenfalls diskutiert wird die Begutachtung von Forschungsförderungs- und Projektanträgen. Es spricht nicht wenig gegen die Annahme, diese Begutachtung sei fehlerfreier oder weniger von sozialen Faktoren verzerrt als die Begutachtung wissenschaftlicher Texte. Einige Untersuchungen untermauern die Skepsis: Die National Science Foundation NSF ließ je 50 akzeptierte und abgelehnte Projektanträge von ihren Gutachtern nochmals bewerten. Fazit: Gutachterurteil, Ablehnung und Annahme eines Antrags waren zufällig (S. Cole, J. R. Cole, & Simon, 1981; Fröhlich, 2003). Auch die Vergabe der postdoctoral fellowship applications des Swedish Medical Research Councils erfolgte wenig neutral oder unvoreingenommen: Benachteiligt wurden Frauen, bevorzugt Personen, die eine Art persönliche Beziehung oder Bekanntschaft zu einem Kommissionsmitglied pflegten (Fröhlich, 2003; Wennerås & Wold, 1997). Die Danish Agency for Science, Technology and Innovation (DASTI) setzt hingegen auf ein transparentes und interaktives Verfahren der Begutachtung (Siekermann, 2007): Die Namen der Gutachter werden den Antragsstellern mitgeteilt, diese erhalten die Gutachten noch vor der endgültigen Entscheidung der DASTI und können Stellungnahme zu diesen einreichen bevor schlussendlich über den Antrag entschieden wird. Allerdings können auch in diesem transparenten Verfahren soziale Effekte auftreten, etwa zu wohlwollende Gutachten wegen befürchteter negativer Konsequenzen oder um sich das Wohlwollen der einreichenden Kollegen zu bewahren.“nnDass Transparenz alle Dysfunktionalitäten beseitigt, nehme ich nicht an – das zeigt der letzte Satz. Der gesamte Artikel „Offenheit und wissenschaftliche Werke: Open Access, Open Review, Open Metrics, Open Science & Open Knowledge“ wird Ende des Jahres erscheinen.nn nnFür Interessierte hier die bibliographischen Nachweise, auch aus dem zitierten Text:nnCole, S., Cole, J. R., & Simon, G. A. (1981). Chance and consensus in peer review. Science, 214(4523), 881-886. doi:10.1126/science.7302566, http://www.sciencemag.org/content/214/4523/881nnFröhlich, G. (2003). Anonyme Kritik: Peer Review auf dem Prüfstand der Wissenschaftsforschung. medizin – bibliothek – information, 3(2), 33-39. http://www.agmb.de/mbi/2003_2/froehlich33-39.pdfnnHerb, U. (2012). Offenheit und wissenschaftliche Werke: Open Access, Open Review, Open Metrics, Open Science & Open Knowledge. In U. Herb (Hrsg.), Open Initiatives: Offenheit in der digitalen Welt und Wissenschaft. Saarbrücken: universaar. (Noch nicht erschienen)nnSiekermann, M. (2007). Transparenz und Anonymität im Begutachtungsprozess. BIOspektrum, 13(3), 322-323. http://www.biospektrum.de/blatt/d_bs_pdf&_id=932312nnWennerås, C., & Wold, A. (1997). Nepotism and sexism in peer-review. Nature, 387(6631), 341-3. doi:10.1038/387341a0, http://www.nature.com/nature/journal/v387/n6631/full/387341a0.html
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