Tools zum wissenschaftlichen Schreiben im GoogleDoc-Stil

So lange ich mich mit elektronischem wissenschaftlichen Publizieren befasse, also seit 2001, wurde zu Recht das Fehlen echter Autorentools beklagt. Software zur Verwaltung fertiggestellter Texte in Repositories bzw. Journalen oder zur Repräsentation von bereits erstellten Monographien existieren in Hülle und Fülle, genauso wie Software zur Abwicklung von Begutachtungen oder anderen Managementworkflows. Aber beim Schreiben der Texte setzt man trotz aller Kollaboration und virtueller Vernetzung immer noch auf verteiltes Schreiben am PC oder Notebook und anschließende Zirkulation der Texte via Mail oder Dropbox, bestenfalls auf die Verwaltung der Inhalte mittels Subversionsystemen oder Angeboten wie github. Ein Autorenwerkzeug zur kollaborativen Arbeit fehlte bislang, es sei denn man setzte auf GoogleDoc. In letzter Zeit wächst die Zahl an Services, die diese Lücke füllen können und den Ansprüchen wissenschaftlichen Publizierens weit besser gerecht werden als der Google-Service, der selbstredend seine Qualitäten hat und auch von seiner Verzahnung mit anderen Google-Angeboten profitiert. Über zwei der Alternativen will ich kurz berichten, es handelt sich zum einen um den Fidus Writer, zum anderen um Booktype.nnDisclaimer: Ich bin bekannt mit Mitgliedern des Sourcefabric-Teams, denke aber neutral über die Software berichten zu können.nnBeide Angebote sind Open Source Lösungen, die als Onlinedienst funktionieren, wobei Booktype hinsichtlich der Funktionalitäten ausgereifter ist. Die Anwendungen laufen im Browser, eine lokale Installation ist nicht erforderlich. Zum Fidus Writer, der seinen Betastatus betont, soll der Sourcecode erst bereitgestellt werden, wenn die Software in der Version 1.0 vorliegt.nnBooktype wird vom Non-Profit Anbieter Sourcefabric entwickelt, der generell eine ansehnliche Referenz- und Anwenderliste aufweisen kann – was insbesondere auch für das Produkt Booktype gilt: Unter anderem wird Booktype zur Erstellung der FLOSS Manuals (Free Manuals for Free Software) genutzt und ist demnach praxiserprobt. Der Funktionsumfang von Booktype, zu dem ein Demoserver (mit einer, wie ich vermute, nicht ganz aktuellen aber voll funktionsfähigen Umgebung) unter http://booki.cc/ existiert, ist beeindruckend und seine Stärken sind klar: Es eignet sich vorzüglich zur Publikation von Büchern (speziell Sammelwerken). Im Handumdrehen hat man im GoogleDoc-Stil Kapitel erstellt, die über eine CSS-Sheet eine recht fixe, aber anpassungsfähige Formatierung haben (und es Autoren erschweren das vorgegebene Layout zu zerschießen). Die Umgebung verfügt über einen komfortablen Editor, inkl. Formeleditor und eine Fußnotenverwaltung, Versionierungen (für Artikel und das gesamte Buch) und Kommentarfunktionen. Die einzelnen Kapitel können im Buch die Reihenfolge beliebig tauschen und wenn denn alle Kapitel stehen, wird auf Mausklick ein Export in verschiedenen Formaten (Druck-PDF in verschiedenen Seitenformaten, Web-PDF, Lulu.com-Format, Open Document Text oder Epub) ausgegeben. Damit sei der Funktionsumfang nur kurz umrissen, Interessierten sei empfohlen, sich auf dem booki.cc-Server umzusehen.nnFidus Writer dient eher der Publikation von Artikeln als Büchern, der Dienst erinnert noch stärker als Booktype an die mehrfach erwähnten GoogleDocs. Der Editor kennt auch Formelfunktionen, ist aber ansonsten im Funktionsumfang etwas weniger ausgereift als das Booktype-Pendant. Kommentare sind auch beim Fidus Writer möglich, ebenso die Verwaltung von Fußnoten (die in meinem Test aber nicht als Fußnote, sondern am Seitenrand erschienen Update, 24.05.2013: Die Anmerkungen erscheinen am Ende der Seite wenn man CSS Regions anstellt, s. http://fiduswriter.com/2013/03/15/how-do-i-enable-page-views-in-fidus-writer/, das hat mir freundlicherweise ein Fidus Writer Entwickler mitgeteilt, vielen Dank nochmal dafür!). Exporte sind nach PDF, LaTeX, HTML und Epub möglich, Änderungen können verfolgt und angenommen bzw. verworfen werden, wie man es auch aus Produkten wie Open Office oder Microsoft Word kennt. Leider ist der Dienst derzeit nur im Browser Google Chrome nutzbar. Dafür bietet Fidus Writer Funktionen, die ihn für Wissenschaftler attraktiv machen: Er beherrscht gleich fünf Zitierstile (APA, Harvard, Harvard Footnote, MLA, Chigago) und erstellt automatisch eine Bibliografie am Ende des Textes. Referenzen werden einfach über das Menü eingefügt und können im dazugehörigen Dialog angepasst werden. Die Literaturdatenbank kann händisch (auch erst beim Zitieren eines Werkes) erstellt oder via BibTeX-Import angelegt werden.nnWas beiden Diensten fehlt, sind Begutachtungsworkflows wie man sie aus der Wissenschaft kennt. Sprich: Wer einen in Booktype oder mit dem Fidus Writer verfassten Text einer Peer Review zuführen will, muss das Dokument erst exportieren, um es dann einem Editor zu senden, der es wiederum an die Gutachter schickt, oder es in einen Review Workflow einspeisen. In jedem Fall verlassen die Akteure Text und Publikationsumgebung. Der Autor erhält Gutachterkommentare (wiederum in einer anderen Datei oder in einer Mail), die er via Booktype oder Fidus in den Text einarbeiten muss. Idealerweise würde auch diese Kommunikation im Autorentool ablaufen. Sourcefabric, dessen Planung ich etwas kenne, will Booktype auf wissenschaftliche Bedarfe hin weiterentwickeln (z.B. Begutachtungen, Rollensystem, Einbindung wissenschaftlicher Referenzen). Zu den weiteren Planungen bei Fidus Writer fehlen mir Informationen, allerdings haben die vier unabhängigen Entwickler in sehr kurzer Zeit schon eine sehr schöne Anwendung geschaffen. In jedem Fall deuten sich bei wissenschaftlichen Autorentools sehr erfreuliche Entwicklungen an.nnP.S. Hinweise auf weitere, ähnliche Autorenwerkzeuge sind sehr willkommen! nnUpdate: Heinz Pampel, s. u.a. wisspub.net, verwies in einem Kommentar noch auf authorea.com. Leider kann ich aus unerfindlichen Gründen den Kommentar nicht freischalten und verweise daher an dieser Stelle auf die Software.


nnAlte KommentarennC.H.nnBesten Dank für die Vorstellung! Die Nachfrage nach solchen Tools ist bislang m.E. noch recht gering, der Leidensdruck zum Ausstieg aus den klassischen Textverarbeitungen noch nicht groß genug. Hat Fidus Writer auch eine Versionierungsfunktion?nnKlausnnBei Word in Kombination mit Sharepoint ist kollaboratives Arbeiten mit 10 Nutzerinnen gleichzeitig möglic inkl. einzelne Absätze sperren, nebenher chatten etc. Schon mal ausprobiert? Funktioniert erstaunlich gut.nnUlrich HerbnnHallo C.H. 🙂 ich glaube der Bedarf hängt von persönlichen Vorlieben ab und die werden sich entwicklen. Alle Artikel, die ich in letzter Zeit mit anderen Autoren zusammen schrieb, habe ich in GoogleDoc geschrieben und ein Tool wie Fidus Writer finde ich dann schon sehr, sehr gut. Wie gesagt, das Hin und Her in der Review Phase bliebe, aber saubere Zitate und Zitationsstile sind schon eine Erleichterung. Das gleiche gilt für Booktype, vor ca. einem Jahr habe ich Buch herausgegeben – hätte ich Booktype genutzt, wäre mein Verwaltungsaufwand vermutlich um 85% gesunken. Kurzum: Der Komfort wird die Leute locken, da bin ich mir sicher. Und zur Versionierung im Fidus: Auf den ersten Blick habe ich nichts gefunden, vielleicht könnte man das über die Änderungsverwaltung hinbiegen. In Booktype ist die Versionierung sehr gelungen: Man kann sich Diffs wie in Wikipedia angucken …nnUlrich HerbnnHallo Klaus, vielen Dank für Deinen Kommentar, was die Sharepoint-Variante angeht bin ich leider skeptisch. Zum einen ist Sharepoint keine Open Source Lösung, für mich ein klarer Nachteil. Zudem waren die Lizenzkosten für Sharepoint, als ich mich zuletzt damit befasste, nicht unerheblich – aber das mag sich geändert haben. Wichtiger sind aber meiner Meinung nach praktische Aspekte. Fidus beherrscht Zitationsstile und Literatutverwaltung built-in, letztere muss ich in MS-Office/Sharepoint meiner Meinung extern einbinden. Dazu kommen die Exportformate bei Fidus und Booktype. Booktype ist derzeit wie gemacht, um Sammelbände zu erstellen, dabei ist die Formatierung fixiert. Wenn ich in MS-Office/Sharepoint einen Band mit 10 einzelnen Beiträgen erstelle, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass mir 10 Dateien in unterschiedlichen Formatierungen zugehen, die ich dann zu einem homogenen Buch zusammenfügen muss. Das bringt sehr viel Aufwand mit sich, wohingegen in Booktype das Buch wirklich auf Knopfdruck erstellt wird, ohne, dass ich als Herausgeber Hand anlegen muss, Inhaltsverzeichnis inklusive. Ein weiterer Vorteil: Ich muss nicht per Mail 10 Artikel in x Versionen verwalten, sondern kann alles in der Booktype-Umgebung selbst erstellen. Und: Wenn ich auf MS-Office/Sharepoint setze, brauche ich zur Arbeit immer einen Rechner mit WIndows, MS-Office und Sharepoint-Unterstützung, bei Fidus & Booktype einfach irgendeinen Rechner mit Netz und Browser. Aber dennoch vielen Dank für die Ergänzung, sie wird bestimmt auf Interesse stoßen.nnJohannes WilmnnHey, ich habe mit der Entwicklung beider Tools zu tun. Nur Booktype ist zur Zeit in einer stabilen und benutzbaren Version zu haben. Fidus Writer ist noch in der Betaphase. Es wundert mich ein bisscehn einen Vergleich der zwei zu sehen, denn eigentlich ist die Idee mit Fidus Writer nicht mit Booktype zu konkurrieren, sondern sich auf ein Feld zu spezialisieren (wisschebnschaftliche Arbeiten), die Booktype nicht abdeckt. Da die Softwaren aber beide unter der gleichen Lizens zu haben sein werden, sollte Booktype leicht von Fidus Writer etwas leihen können wenn dies gewünscht sein sollte. Auch umgekehrt wäre dies möglich. Was den Prozess des Peer Reviewings angeht: Es wurde von einigen Testern diskutiert dass es ja möglich sei zwei anonyme Konten zu machen und den beide am gleichen Dokument arbeiten lassen und damit jedenfalls die Hauptteile des Peerreviewings herzustuellen ohne das Dokuemnt an sich hin und herzuschicken. Fidus Writer sucht noch nach Finanzierung. Sollte es die geben, könnte richtig organisiertes Peer-reviwing sicherlich Teil einer nächsten Version sein. Ansonsten wird es halt auf Hobby-basis weiterprogrammiert. Zum Thema Versionierung: Dies steht zwar auf der TODO-Liste von Fidus Writer, ist aber noch nicht implementiert. Es ist halt noch Betaware. Ab 1.0 könnte es soweit sein, wenn alles nach Plan geht. Zu Booktype Büchern: Ich habe über das letzte Jahr einen neuen Renderer für PDFs für Booktype gebastelt. Bei Floss Manuals sahen die Bücher grafisch nicht so toll aus. Aber das hat sich jetzt geändert: den neuen Renderer kann man auf der Booktype Version hier austesten: http://booktype-demo.sourcefabric.org/ . Ich habe da auch support für Fußnoten und ähnliches eingebaut, und das ist füë den Endbenutzer dann auch ab einer zukünftlciehn Version von Booktype erhältlich. Bisher gibt es leider nur Endnotes in Booktype.nnKlausnnNur zur Klärung: Sharepoint kann man lokal installieren oder die Cloud-Version nutzen. Für eine eigene, lokale Installation gibt es Sharepoint auch in einer kostenfreien Version (Foundation genannt), die die gemeinsame Dokumentenbearbeitung ermöglicht. Voraussetzung dafür ist allerdings ein kostenpflichtiger Windows Server, auf dem der Sharepoint installiert ist. Um gemeinsam an Office-Dokumenten (Word, Excel, Powerpoint etc.) arbeiten zu können braucht man einen Computer mit Windows und Office. Eine spezielle „Sharepoint-Unterstützung“ ist nicht notwendig.nnUlrich HerbnnHallo Johannes, vielen, vielen Dank für die Infos! Das ist wirklich höchst interessant, ich hoffe Ihr findet einen Sponsor für Fidus!nnUlrich Herbnnund auch nochmal hallo Klaus, sehr gut, das war macht einiges klarer! Vielen Dank dafür!nnHeinznnhttp://www.authorea.com ist schicknnAndreasnnHallo Ulrich, das ist ja ein interessantes Fundstück. Ich habe eine Projektmanagementsoftware im Einsatz, die Google-Docs integriert hat. Eine ganz hervorragende Sache, wenn ich denn nicht eine 100% Open Source Lösung bevorzugen würde. Da kommt der Artikel gerade recht und ich werde booktype einmal testen. Und hoffe natürlich, dass die Anwendung ebenso „seamless“ integriert werden kann. Zu Sharepoint: ich habe da viele Projekte scheitern sehen, selbst eines abgelehnt, weil es schwer zu programmieren und zu handhaben ist. Wenn sie mal gelangen, sprengten sie die Budgets. Und es läuft wirklich gut nur in einer Windows only Umgebung. Plus bei booktype: Lulu, pdf, odt als Ausgaben. Ich bin gespannt auf den ersten Test.nnUlrich HerbnnHallo Andreas, vielen Dank für die Infos, sie nähren meine Skepsis gegenüber Sharepoint etwas. Heinz Pampel schlug noch https://www.authorea.com/ vor, scheint auch sehr offen zu sein und basiert anscheinend auf LaTeX.nnJürgen PlieningernnIst zwar kostenpflichtig, ich habe aber mehrfach Gutes über Scrivener gehört.nnUlrich HerbnnScrivener, guter Hinweis, vielen Dank! Die Software öfters mal in der c’t erwähnt, s. http://www.heise.de/download/scrivener-3649980.htmlnnKlausnn@Andreas + Sharepoint: geht es vielleicht etwas konkreter? Sharepoint ist von Microsoft als eierlegende Wollmilchsau gedacht und ungesetzt worden. Neben der kollaborativen Dokumentenbearbeitung bietet er einen sehr großen Funktionsumfang: Listen/Tabellen (die als Mini-Datenbanken genutzt werden können), Wiki, Blog, Suchmaschine, Social Network, diverse Schnittstellen etc. Das hat u.a. zur Folge, dass die Installation nicht von einem Laien durchgeführt werden sollte (im Vergleich vllt. zu WordPress). Ein Admin, der sich durchschnittlich mit Windows auskennt, sollte keine Probleme haben. (Ich bin kein Admin, habe es aber trotzdem mit ein bisschen Lektüre hinbekommen.) Und Sharepoint basiert auf Microsoft-Technologien (.NET, C#, WPF etc.). D.h. für größere Anpassungen brauchen Sie einen Entwickler, der entsprechene Kenntnisse hat. Ein PHP-Entwickler wird seine Schwierigkeiten haben … Was das gemeinsame Arbeiten an Dokumenten betrifft (das Thema dieses Posts …) kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es nach der Installation mit einigen kleineren Einstellungen relativ problemlos und quasi out-of-the-box funktioniert, ein neuerer IE und Office 2010 oder 2007 vorausgesetzt. Fazit: Sharepoint ist eine ernstzunehmende Alternative zu den vorgestellten Tools, wenn man 1. seine Daten nicht in der Cloud haben möchte 2. an den Office-Tools gewöhnt ist (und damit zufrieden ist) 3. jemand hat, der Sharepoint installieren kannnnJohannes Wilmnn@Andreas: Booktype hat kein Lulu Output mehr, weil lulu die API ersatzlos gestrichen hat. Auch ODT Output wurde gestichen da wenig benutzt. Der Gedanke ist jedoch dass damit die anderen Outputvarianten (Epub, PDF, Screen PDF) mit der Zeit umso mehr verfeinert werden können. Authorea, Writelatex, etc. sind alle ganz nett, das Konzept hat es schon einige Male gegeben in den letzten 10 Jahren, aber nur Booktype und Fidus Writer geben eine quasi-WYSIWYG Anzeige. Für nicht-technische Benutzer ist das einfach notwendig. Booktype ist älter und mehr getestet, aber hat keine wissenschaftlichen Tools (Fußnoten, Formeln, Zitate management, etc. sind alle nicht vorhanden). Solche Tools hat Fidus Writer, ist dafür aber neuer (und ungetesteter) und wird erst ende Juli mit der Version 1.0 Open Source. Beide Tools kann man benutzen um Books und Ebooks zu machen. Für nicht-wissenschaftliches Schreiben macht es mehr Sinn Booktype zu benutzen.