Stefan Heßbrüggen hat eine interessante Petition gestartet, die sich gegen die Erschwernis und Reglementierung des akademischen Whistleblowings richtet. Ein Blogpost des Initiators findet sich bei hypothesis.org. Anlass ist eine Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz HRK, dort heißt es: „Zum Schutz der Hinweisgeber (Whistle Blower) und der Betroffenen unterliegt die Arbeit der Ombudspersonen höchster Vertraulichkeit. Die Vertraulichkeit ist nicht gegeben, wenn sich der Hinweisgeber mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet. In diesem Fall verstößt er regelmäßig selbst gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis. Dies ist auch bei leichtfertigem Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Fall sowie bei der Erhebung bewusst unrichtiger Vorwürfe“. Ulrike Beisiegel, Vizepräsidentin der HRK, hat zu diesem Thema bereits am 11. Juni ein Interview gegeben, das mich nicht von der vorgeschlagenen Strategie überzeugen konnte. Diese Empfehlung der HRK, so ist zu vermuten, wird auch als Ergänzung in die Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG eingehen, eine entsprechende Information seitens der DFG wird heute anläßlich ihrer Jahrespressekonferenz erwartet. Übernimmt die DFG diese Empfehlungen, so vemutet Heßbrüggen, entfaltet dies normative Ausstrahlung auf lokale Hochschulordnungen, in welche die Vorgaben im Wesentlichen übernommen werden dürften. Ich gebe Heßbrüggen Recht, wenn er HRK und DFG eine vereinfachte und weitgehend unzutreffende Vorstellung von Whistleblowing unterstellt, er zitiert in diesem Zusammenhang DFG-Justitiarin Kirsten Hüttemann, die auf academics.de eher emotionale Gründe für Whistleblowing ausmacht, sie benennt diese als Ausdruck von Unstimmigkeit, Querulanz und Konkurrenzdenken. Auch hier teile ich Heßbrüggens eher phänomenologische Sicht: Wenn eine Täuschung aufgedeckt wird, ist es mir gleich, ob die Motivation des Whistleblowers wissenschaftlich rational oder emotional war. Auch die, im Statement Hüttemanns anklingende, Psychologisierung des Whistleblowing erinnert leider an eine in der Politik verbreitete rhetorische Strategie, strukturelle Probleme (hier: Fehlverhalten in der Wissenschaft), derer man nicht Herr wird, durch Reduktion auf Idiosynkrasien zu banalisieren. Schärfer beschreibt Gerhard Fröhlich (Universität Linz) diesen Reflex in seinem Artikel Plagiate und unethische Autorenschaften bezugnehmend auf ein konkretes Ereignis: „Wichtig ist an diesem Fall – wie bei so vielen anderen – nicht die Person des Fälschers oder Plagiators, sondern das offenkundige Versagen der wissenschaftlichen Institutionen und ihr Unwillen, eindeutig nachgewiesene Plagiate bzw. Fälschungen bekanntzugeben, sondern sie als ‚persönliches Problem‘ zwischen dem Plagiator und dem Aufdecker sozialpsychologisch herunterzuspielen.“nnDie Empfehlung der HRK mag der Angst geschuldet sein, Verleumdung könne in der Wissenschaft um sich greifen. Dieser empfundenen Gefahr will man offensichtlich entgegen treten, indem Informationen über wissenschaftliches Fehlverhalten monopolistisch von Ombudsleuten verfolgt werden sollen bis die Vorwürfe untersucht und beurteilt werden konnten. Vielleicht trägt die Empfehlung allerdings auch uneingestanden die Befürchtung in sich, nicht fälschlicherweise vorgetragene, verleumderische Manipulationsvorwürfe könnten das Wissenschaftssystem diskreditieren, sondern eine Flut sich bewahrheitender Anschuldigungen könnte es in Verruf bringen. Um dem letzten Verdacht zu entgehen, hilft aber nur ein offeneres Verfahren, das Willen zur Transparenz zeigt und nicht, wie im Falle der HRK-Empfehlungen, dem Whistleblower mit Sanktion droht und ihm (s.o. obiges Zitat aus den Empfehlungen) einen Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis unterstellt – denn diese Strategie immunisiert Wissenschaftler, die unethische Praktiken verfolgen.nnFolglich stimme ich Heßbrüggens Argumentation weitgehend zu, vor etwas mehr als einem Jahr habe ich bereits in einem Interview eine Art WikiLeaks für Wissenschaftler gefordert. Wie das System der Ombudsleute ins Bild passt, ist offen. Ich frage mich, ob Nachwuchswissenschaflter, die z.B. Fälschungen ihres Vorgesetzen, von dem das Zustandekommen ihres nächsten befristeten Vertrages abhängt, berichten wollen, sich immer einem Ombudsmann anvertrauen wollen. Ein Verlust ihrer Anonymität hat für sie, auch wenn ihre Vorwürfe begründet sind, meist katastrophale Folgen (s. dazu auch den Artikel Gerhard Fröhlichs). Vielleicht wäre wirklich ein Postfachsystem wie Wikileaks zeitgemäßer, in dem Whisteblower sich durchaus zu erkennen geben und konkrete Beweise für wissenschaftliches Fehlverhalten dokumentieren sollen. Die Weitergabe der Information an Prüfer (die mehr oder minder analog der Ombudsleute fungieren könnten) müsste hingegen anonym erfolgen – auch wenn diese Verborgenheit in der Überschaubarkeit der Wissenschaft trügerisch sein kann. Jedoch sollte man ein solches System überregional anlegen (um Cliquenwirtschaft zu erschweren) und immer mehr als einen Prüfer vorsehen, um Voreingenommenheiten zu entgegnen und, wie es heute bereits bei Plagiatsplattformen geschieht, ab Beweis des Fehlverhaltens dieses öffentlich dokumentieren. Letzteres auch zum Schutz der Beklagten, die den Vorwürfen öffentlich entgegnen können.nnUpdate: Die DFG hat, wie vermutet, am 04. Juli die Empfehlungen der HRK übernommen, s. dazu die Ergänzung der Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (dort Empfehlung 17) sowie die darauf bezugnehmende Pressemitteilung der DFG. Heßbrüggen ruft unterdessen dazu auf, die Petition weiterhin zu unterstützen, um Widerspruch gegen die HRK-/DFG-Empfehlungen zu dokumentieren.nnZuletzt hier nochn
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- der Link zur Petition: https://www.change.org/de/Petitionen/deutsche-forschungsgemeinschaft-hochschulrektorenkonferenz-preserve-the-freedom-to-publish-findings-of-academic-misconduct-in-germany
- die bibliographischen Angaben zum zitierten Artikel:nFröhlich, G. (2006). Plagiate und unethische Autorenschaft. Information – Wissenschaft & Praxis, 57(2), 81–89. Online unter http://eprints.rclis.org/7416/1/plagiate.pdf
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