APC-Verwaltung in Bibliotheken

APC-Verwaltung in Bibliotheken

Am 31.05. halte ich einen Vortrag beim diesjährigen Bibliothekskongress, und zwar in der öffentlichen Sitzung der dbv-Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung. Thema der Session ist “APC-Verwaltung in Bibliotheken”, also das Management der für Open Access Publikationen anfallenden Publikationsgebühren (Article Processing Charges APCs).

Die Ehre, die Keynote halten zu dürfen, gibt mir die Freiheit, mich weniger mit Details wie technischer Umsetzung oder administrativen Abläufen auseinanderzusetzen und mich stärker mit dem Stilbildenden dieser – im Vergleich zu Erwerbung und Bestandsaufbau – immer noch neuen Aufgabe für Bibliotheken zu befassen. Meine Sicht auf APCs und alles, was mit ihnen inner- und außerhalb von Bibliotheken zusammenhängt, ist stark von der Open-Access-Perspektive geprägt, auch wenn ich kurze Zeit die Erwerbungsleitung der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek (SULB) innehatte.

Ich will an dieser Stelle nun ein paar vorläufige Ideen zur APC-Verwaltung in Bibliotheken (und damit zu meinem Vortrag) formulieren, in der Hoffnung, dass sie auf Interesse stoßen und zur Diskussion führen – auch um meinen Vortrag mit dieser Diskussion anzureichern. Selbstverständlich werde ich allen Diskussionsbeiträgen, auf die ich in meinem Vortrag verweisen werde, korrekt attribuieren und zitieren.

Sollten Sie dieses Posting also via Twitter, LinkedIn oder an anderer Stelle aufgreifen, lassen Sie mich dies bitte wissen.

Update 01.06.2022: Die Keynote ist gehalten, die Präsentation dazu findet sich online, mehr oder minder als Kondensat des folgenden Textes.

Bibliotheken und Transformation: eine Hassliebe

Transformative Verträge und DEAL stellen das stärkste verbindende Element zwischen Erwerbung und Open Access dar. Die Eignung der Transformationsverträge, Open Access quantitativ zu befördern, ist nicht unumstritten, nicht umsonst legt der Plan S strenge Kriterien für transformative Journale an, die als compliant betrachtet werden wollen. Auch in Bibliotheken gelten, zumindest meiner Meinung nach, Transformationsverträge als sperrig: Zu verschieden die Vertragsdetails und Open Access Policies der Verlage, zu unterschiedlich die Workflows und zu unklar, inwiefern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieses Konzept und seine uneinheitliche Umsetzung verstehen. Gleiches gilt für DEAL: Bibliotheken und die MPDL Services GmbH scheinen mitunter wegen Nachzahlungen über Kreuz zu liegen, dazu haben Bibliotheken Befürchtungen vor im Vergleich zum Subskriptionsmodell noch stärker steigenden Kosten. Dazu beschäftigt DEAL nicht nur die Erwerbung, sondern auch die Open-Access-Vertreterinnen und -Vertreter etwa mit aufwändigen Affiliationsprüfungen oder (Ko-)Finanzierungsabstimmungen. Weitere Kritikpunkte an derartigen Abmachungen werden in Brianna Selmans “Transformative” Agreement Bingo zugespitzt aufbereitet.

Beginn: Update 29.05.2022

Mein Kollege Pablo de Castro (University of Strathclyde, Glasgow) fasste weitere kritische Eigenschaften von Transformationsverträgen und Read-And-Publish-Abmachungen (hier RnP) in einer Präsentation treffend zusammen. Besonders hervorheben möchte ich seine Feststellung, dass Open Access Berater/innen und Beauftragte durch Read and Publish und Transformation zu Buchhalterinnen und Buchhaltern mutieren – was zu Lasten Open Access förderlicherer Aktivitäten wir Beratung oder (Infra)strukturbildung geht.

Issues around R&P deals? Pablo de Castro

Ende: Update 29.05.2022

Trotz aller Unbeliebtheit bei Bibliotheken (sowohl in der Erwerbung als auch im Open Access) sollte man jedoch nicht vergessen, dass Bibliotheken von Transformationsverträgen und DEAL auch profitieren: Beide folgen primär dem Prinzip konsortialer Subskription und sind ohne Bibliotheken nicht denkbar, sie stärken also deren Existenzberechtigung.

Nehmen wir nun aber an, DEAL erreichte sein Ziel und die Abmachungen mit Springer Nature und Wiley werden von Read and Publish (RAP, das ist m. E. der Status Quo, da die APC sich an den Subskriptionszahlungen eines Bezugsjahres orientiert, s. dazu auch Lisa Janicke Hinchliffes Beitrag in der Scholarly Kitchen, speziell den Abschnitt ‘Read-and-Publish vs. Publish-and-Read’) zu Publish and Read (PAR) Verträgen und die transformativen Journale werden zu Gold Open Access Journalen, die APC-finanziert sind: Sofern kein Vorababzug der APCs erfolgt und die Kosten hochschulweit sozialisiert werden, ist in diesem Fall eine Zuordnung der Kosten zu verursachenden Personen /Einheiten gefragt. Mit anderen Worten: APC-Verwaltung durch Bibliotheken. Anders sähe es bei einer radikalen Alternative, die ohne Bibliotheken funktionieren könnte, aus: individuelle Publikationsbudgets je Wissenschaftlerin und Wissenschaftler, gegebenenfalls mit Mengenrabatten oder anderen Nachlässen.

Eine fremde Welt

Anders als Subskription, Transformation und RAP/ DEAL, ist die APC-Verwaltung Bibliotheken strukturell fremd: Es handelt sich um eine individuelle Kauftransaktion, vergleichbar dem Erwerb eines Buches durch eine Wissenschaftlerin/ einen Wissenschaftler für die Fachbereichsbibliothek. Oder wie Harald Gerlach von der Universitätsbibliothek Darmstadt es anlässlich einer Online-Veranstaltung zu Informationsbudgets formulierte: Prinzipiell kann man eine mit der Zahlung einer APC verbundene Publikation mit einem individuellen Zeitschriftenabonnement vergleichen.

Überdies ist das Handling von APCs meiner Meinung nach diffizil mit einem klassischen Bibliotheksbudget vereinbar, unter anderem, da die Kosten in ihrem gesamten Volumen, anders als die erwarteten Ausgaben für den Medienbedarf der Fakultät X im Jahr Y, nicht im Voraus budgetierbar sind.

Zudem werden bei Open Access Publikationen Kaufentscheidungen nicht auf Fachbereichs-/Fakultätsebene getroffen, sondern höchst individuell und granular.

Zu guter Letzt ist eine Deckelung der APC-Ausgaben schwer zu vermitteln, denn wer will, wie Bernhard Mittermaier es bei der oben verlinkten Veranstaltung formulierte, einer Autorin/ einem Autor der Hochschule im Juni untersagen, das Produkt der Hochschule, eine Publikation, herzustellen, weil das APC-Budget ausgeschöpft ist? Ich weiß, theoretisch mag man bei einer solchen Anfrage auf Diamond Open Access (oder gar Subskriptionsjournale mit liberalen Green Open Access Optionen) verweisen, in der Praxis sind allerdings Publikationsoptionen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr selten substituierbar und auch Hochschulen bevorzugen, trotz aller Kritik an der Fixierung auf High Impact Journale, am Ende eben doch oft den Publikationsort, der häufiger zitiert wird als ein anderer – und der nicht zwangsläufig, aber eben auch nicht selten, im Open Access zahlungspflichtig ist.

Aufwände

Die Annahme, Erwerbungs- und Open-Access-Kosten einer Universität verhielten sich wie kommunizierende Röhren (auch für diese Metapher danke ich Harald Gerlach), scheint diskussionswürdig: Funktioniert ein Bibliotheksetat tatsächlich so, dass ein Zuwachs an Open Access (und damit verbundene Kosten) wie von Geisterhand Reduzierungen an anderer Stelle (Subskription) zur Folge hat, sodass Erwerbungs- und APC-Kosten in einen ausbalancierten Zustand geraten?

Neben diesen reinen Beschaffungskosten muss man natürlich die Arbeitsaufwände bedenken, z.B. selbst bei zentral verwalteten Fonds Vorgänge wie Prüfung der Zugehörigkeit der Autorin/ des Autors, der Erstattungsfähigkeit, gegebenenfalls das Abklären von (Ko-)Finanzierungen, Steuerfragen, berücksichtigter Fundingvorgaben, korrekter Lizenzierung, das Blockieren/ Reservieren von Mitteln, das Monitoring und die Berichterstattung an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), OpenAPC, die Universitätsleitung und das zuständige Ministerium – selbstredend in unterschiedlichen Datenformaten. Verglichen mit klassischen Bibliotheksworkflows verlangt dies je APC eine Menge Micromanagement.

Ein Micromanagement, dass an einer mittelgroßen Universität im Falle einer erfolgreichen Open Access Transformation alleine für Journalartikel sicher mehr als zweitausendmal anfiele.

Abseits der APC-Verwaltung

Welche Rolle spielen Bibliotheken im Gold Open Access abseits des APC-Handlings?

Zum einen sind sie sicher wichtig in der Beratung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Dazu im Betrieb von Gold Open Access Angeboten wie Verlagen oder Journalen. Gerade was das verstreute Hosting von Open Access Journalen angeht, bin ich jedoch hinsichtlich der Sinnhaftigkeit skeptisch: 2018 ermittelte ich 246 mit der Software Open Journal Systems (OJS), die für das Hosten von Open Access Journalen einschlägig ist, betriebene Zeitschriften an 86 Einrichtungen in Deutschland, sprich durchschnittlich weniger als drei Journale je Standort. An nur sechs Standorten wurden mehr als fünf Journale aufgelegt, an nur vier Standorten mehr als zehn und an 59 Standorten wurde nur ein Journal publiziert. Im Median wurde ein Journal je Standort publiziert. Übrigens versuche ich mich hier an einem Update der Zahlen.

Dazu ist eine zunehmende Förderung von fremden (bevorzugt non-profit) Open Access Publikationsinfrastrukturen (z.B. der Open Library of Humanities (OLH)) durch Bibliotheken festzustellen. Auch hier findet sich überbordendes Micromanagement, das allerdings bei den Anbietern wie OLH liegt. Meiner Wahrnehmung nach ist die dauerhafte Finanzierung solcher Publikationsangebote, so sinnvoll sie sind, prinzipiell unsicherer als die Deckung einer APC aus universitären Mitteln, da sie eher als ein nice to have betrachtet werden – und ihre Finanzierung (z.B. anders als bei einer Open Access Publikation in DEAL oder Transformationsverträgen) nicht durch eine Subskriptionsabmachung mit Open Access Klausel vorfinanziert ist. Die Finanzierung solcher Open Access Publikationsangebote wird durch diese selbst organisiert (siehe OLH), im Pledging durch kommerzielle Dienstleister wie Knowledge Unlatched oder Projekte wie Konsortiale Open Access Lösungen Aufbauen (KOALA). Die Entscheidung, welche Angebote mit einer finanziellen Förderung aus dem Bibliotheksetat unterstützt werden, dürfte dabei in aller Regel bei den Fachreferentinnen und -referenten liegen.

Denkbar wäre auch dieser Ansatz: (Diamond?) Open Access wird mit prozentualer Infrastrukturabgabe unterstützt. Unabhängig davon, aus welchem Etat die Mittel entrichtet werden, kommen für die Entscheidung, welche Services förderwürdig sind, viele Akteure infrage: z.B. Fachreferentinnen/-referenten an Bibliotheken, Fachbereiche oder Fakultäten, die Fachgesellschaften oder die DFG-Fachkollegien.

Bei Beratung und Betrieb von Publikationsservices haben Bibliotheken fraglos Kompetenzen aufgebaut. Auch die konsortiale Finanzierung von Open Access Plattformen ist ihnen (durch konsortiale Subskription) vertraut, allerdings verlieren hier Erwerbung und Bestandsaufbau an Bedeutung. Der Ansatz der Infrastrukturabgabe hingegen benötigt Bibliotheken allgemein nicht mehr unbedingt.

Happy end? Fazit?

Mein Glück: Eine Keynote verlangt nach keinem happy end. An einem Fazit will ich mich dennoch versuchen.

Organisationsintern stehen Hochschulen und deren Bibliotheken vor der Herausforderung, Medienerwerbs- und Open-Access-Kosten, die voraussichtlich zumindest auf Sicht die Form von APCs haben werden, auszutarieren. Auch wenn es nützliche Hilfsmittel, wie unsub, und gelungene Konzepte (z. B. von Tobias Pohlmann, Universitätsbibliothek Kassel) gibt, um die Effizienz von Subskriptionsausgaben zu bewerten und, wo möglich, Mittel in die Open-Access-Finanzierung umzuwidmen, bleibt fraglich, ob sich das Phänomen der kommunizierenden Röhren bei dieser Austarierung einstellen wird.

Weniger finanziell gestaltet ist die nächste organisationsinterne Frage: Sollte Open Access tatsächlich das dominante Publikationsprinzip werden, hätte das einen Bedeutungsverlust der klassischen Erwerbung und des klassischen Bestandaufbaus zur Folge, das ist nichts Neues. Wie aber würde organisationsintern darauf reagiert? Ist oder wird die APC-Verwaltung ein Teil der Erwerbung? Oder wäre deren Verortung dort nicht Ausdruck des Glaubens an die Kommunizierende-Röhren-Annahme, wonach sich Subskriptionsetat und APC-Kosten in einem Etat harmonisieren? Wenn die APC-Verwaltung Teil der Erwerbung ist, was fällt dann noch in deren Aufgabenbereich? Abwicklung der Finanzierung von non-profit Open Access Services, der Infrastruktur-Beteiligung, der Rechnungsbearbeitung? Wo verläuft die Grenze zwischen Open-Access-Abteilungen und Erwerbung? Was bleibt von Erwerbung und auch Medienbearbeitung, wenn sie sich nicht Open Access öffnen?

Open Access bedeutet viel Interaktion mit Verlagen, Fundern, Autorinnen/ Autoren, Haushalts- und Finanzabteilungen, Drittmittelabteilungen, Fakultäten – Aktivitäten, die bei der klassischen Erwerbung in dieser Dichte, zumindest meiner Meinung nach, nicht gegeben sind. Hinzukommen stetige Änderungen z.B. in Pricing-Modellen, durch neue Funderauflagen oder DFG-Programme, die aufwändige Antragsstellungen erfordern.

Diese organisationsinternen Fragen werden Bibliotheken vermutlich auf unterschiedliche Arten beantworten müssen. Gravierender ist der Umstand, dass Open Access (und auch die APC-Verwaltung) meines Erachtens auch ohne Bibliotheken machbar ist. Warum sollten Hochschulen nicht auch auf die Idee eines individuellen Publikationsbudgets verfallen (ein findiger Anbieter dürfte die Software dafür schon schmieden können)? Pledging via KOALA oder Knowledge Unlatched bzw. eine Infrastrukturabgabe für Open Access braucht Bibliotheken nur bedingt und in radikalen Ausformungen gar nicht. Diese sind prinzipiell auch beim Community Action Publishing (CAP) Programm von PLOS nicht zwingend ein Player, denn CAP folgt einem Flat-Rate-Prinzip.

Da Hochschulen allerdings auf Open Access setzen (müssen) und dieser vermutlich auf Sicht vornehmlich APC-basiert organisiert ist, ist eine gelungene APC-Verwaltung durch Bibliotheken vielleicht nicht gerade eine Überlebensgarantie für diese, sicher aber ein äußerst wichtiges Element der Existenzberechtigung.

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